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PRESSESTIMME

WER IST HIER PUNK?

ZUR VERANSTALTUNG »DON'T BELIEVE THE HYPE – SCHEIN UND SEIN DER CREATIVE CLASS«

aus der  Leipziger Volkszeitung vom 14. Februar 2008

Das größte Glück, nein, bloß eine Nullnummer – was jetzt? In der Nato diskutiert die kreative Klasse, so es sie gibt, über sich selbst.

Es ist einfach zu sagen, was die kreative Klasse nicht ist. Zum Beispiel ist sie nicht »vier Meter hoch und puschelig an den Seiten«, wie der Autor und Blogger Sascha Lobo am Dienstagabend in der Nato feststellt. Um »Schein und Sein der Creative Class« geht es in der Podiumsdiskussion der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Musikmesse Pop Up. Die Veranstaltung kommt einer Vollversammlung der Leipziger Kreativszene gleich: Fast 200 Menschen drängen sich im Saal und davor – etliche müssen draußen bleiben.

Wer steckt bloß in dieser kreativen Masse? Eine Person weigert sich, dazu zu gehören, obwohl sie doch eigentlich als deren Repräsentantin auf dem Podium sitzt. »Aber meine alltägliche Arbeit ist absolut unkreativ«, sagt ASPN-Galeristin Arne Linde. Das Kreativ-Etikett sei belastet und belastend, findet sie. Der Leipziger Soziologe Ulrich Bröckling, dritter Diskutant auf der Bühne, hält den Begriff sogar für ein »absolutes Nullwort«. Vom Creative Coiffeur über die kreative Buchführung bis zum Grünen-Wahlkampfthema der Kreativitätspolitik – es sei einfach nur Käse, wenn Arbeit mit Hilfe Glück versprechender Phrasen zum Lebensentwurf stilisiert werde.

Moment mal, bitte, so kann das Sascha Lobo nicht stehen lassen. Vor knapp zwei Jahren hat er mit Holm Friebe ein einflussreiches Buch mit dem schönen Titel »Wir nennen es Arbeit« veröffentlicht. Der Band hat die Kategorie der Creative Class des amerikanischen Ökonomen Richard Florida in die deutsche Diskussion eingeführt, vor allem aber dafür gesorgt, dass sich die Debatte hierzulande meist auf den Gegensatz zwischen Festanstellung und freien Kreativ-Unternehmertums verengt.

Der Band liest sich wie ein Kindermutmachlied für Kreative. LVZ-Redakteur Mark Daniel will als Moderator aber wissen, ob das Ganze am Ende nur eine Luftblase sei. Zeit für das Lobo-Manifest:

»Kreativität ist ein Kennzeichen der selbst beauftragten Arbeit«, doziert er. »Nur wer tut, was er selbst und nicht jemand anders für richtig hält, spürt, welche Lebensfreude man bei der Arbeit empfinden kann.« Jetzt wundert sich Bröckling, dass ausgerechnet ein Punk das Loblied der Arbeit singt. Aber natürlich ist Lobo trotz Irokesenschnitt kein Punk. Er hat nur »die Frisur geklaut«, betont er. Den Punk geben zu müssen, glaubt im Gegenzug der Professor. »Arbeit ist scheiße«, schimpft er. Faul sein zu können, das mache glücklich!

Das polemische Schaugefecht, das sich zwischen Bröckling und Lobo entspinnt, hat zwar Unterhaltungswert, aber ihre Fragen, wer denn nun FDP-nah, Beton-Gewerkschafter oder gar Sozialdemokrat sei, überdecken leider fast alles andere. Immerhin gelingt es Arne Linde noch vom zwischenzeitlichen Scheitern zu schwärmen. Das sei eine »extrem wichtige« Erfahrung für Kreative. Auf einmal würde Lobo nun doch lieber eine ernsthafte Diskussion führen: über das politische Projekt eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle – 850 Euro, die das Scheitern abfedern. So etwas könnte ein wahres Kreativitätsfeuer entfachen, glaubt er. Für eine ernsthafte Debatte darüber ist der Umgangston aber längst zu flapsig. Dass man über Dinge schweigen muss, von denen man nicht sprechen kann, wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein festgestellt hat, bedeutet offenbar im Umkehrschluss: Das Schwafeln über die Creative Class lässt sich kaum mehr aufhalten, seit Richard Florida dafür ein Wort erfunden hat.

 

© Mathias Wöbking, Leipziger Volkszeitung, 14.2.2008.
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