Logo Kulturpolitischer Salon

PRESSESTIMME

THEMA VERFEHLT: KULTURPOLITISCHER SALON ZUR STADT ALS BÜHNE

aus der  Leipziger Volkszeitung vom 12. September 2004

Warum skaten Kids ausgerechnet an Mies van der Rohes kostbarer Neuer Nationalgalerie? Weil sie den Kunstfuzzis ein selbstbewusstes Zeichen entgegensetzen wollen, glaubt Soziologe Albrecht Göschel. Ich zeig' mich, also bin ich. Auch Kulturwissenschaftlerin Regina Bittner meint, es handele sich um die temporäre Einschreibung einer Gruppenidentität ins Stadtbild. Die Erklärung sei simpler, hält Architekt Harald Stricker dagegen: Der Platz vor dem Bau eigne sich hervorragend zum Skaten.

An Wortwechseln wie diesem offenbart sich eine der Schwachstellen des fünften Kulturpolitischem Salons, der am Wochenende die »Stadt als Bühne - Kunst und Kultur im öffentlichen Raum« behandelte: Auf dem Podium reden fünf Fachleute über Gruppen, die nicht mitreden können. Weil sie nicht vertreten, respektive vom Dialog ausgeschlossen sind. Das Publikum darf sich bei diesem »Salon« erst in den letzten Minuten am Gespräch beteiligen.

Markanterweise beginnt der Abend mit ausführlichem Dank an die Sponsoren. Eine hübsche Parallele: Wie der öffentliche Raum zunehmend privatisiert wird, hängt auch Kultur immer stärker vom Wohlwollen privater Unternehmen ab. Im öffentlichen Raum führt das zu Funktionswandeln. Und in der Kultur?

Göschels kluger Eingangsvortrag kreist um die Stadt der Moderne: Freiraum diene nicht mehr zum Verweilen, sondern zur Regulierung der Verkehrsströme - ein Blick aus dem Konzertfoyer der Oper auf den von Trassen durchzogenen Augustusplatz gibt ihm recht. In unserer Zeit werde ausgerechnet das, was laut Georg Simmel eine Stadt auszeichne, eliminiert: die Begegnung mit Fremden. In Frankfurt gebe es bereits Geschäftszeilen, in denen Privatpolizei die vertreibt, die sich abweichend, »das heißt: nicht konsumtiv«, verhalten. Ein Teufelskreis: »Mit dem Versuch, Sauberkeit und Sicherheit zu schaffen, steigt das Bedürfnis nach Sauberkeit und Sicherheit ständig an.«

Die Kulturpolitik stehe vor der Aufgabe, den Städten ihre Erlebnisdimension zurückzugeben. Die in schrumpfenden Städten entstehenden Lücken ließen sich als Chance verstehen. Doch statt »kreativem Umgang mit Freiräumen« sieht Göschel nur die Verwaltung von Brachen. Seine Beispiele legen nahe, dass Städte weniger planen und mehr erlauben sollten: Positiv führte er die Verhüllung des Reichstags an (für die Christo 20 Jahre lang kämpfen musste), missglückt dagegen sei Münchens Versuch, eine Speaker's Corner zu errichten, »das nutzt kein Mensch, das scheißen die Tauben voll«.

Fast alle Fragen lässt der Abend unbeantwortet: Wie wird öffentlicher Raum genutzt? Von wem? Wandelt sich die Nutzung? Welcher Umgang mit Streetart, oft illegal, macht Sinn? Welche Angebote unterbreitet die Stadt? Welche sollte sie unterbreiten? Moderator Harald Fricker versäumt, das Gespräch auf die angekündigten Themen zu lenken.

So ehrenwert es ist, ein Thema globaler anzugehen und Leipzigs Situation auszublenden: Hier erweist es sich als Makel. Denn für fast alle angesprochenen Punkte hätten sich leicht hiesige Beispiele finden lassen. Künstler werten ein Gelände auf und müssen am Ende weiterziehen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können? Auf dem Gelände der Baumwollspinnerei zeichnet sich genau das ab. Kunst wird über die Köpfe der Anwohner installiert? In Lindenau geschehen. Brachen werden landwirtschaftlich genutzt? In der Bergstraße zu beobachten. Leerräume werden umfunktioniert: siehe »Laden für Nichts«, »Galerie Blumen«, »Besser Leben«...

In einem echten Salon hätte sich ein hoch interessantes Gespräch ergeben.

 

© Hendrik Pupat, Leipziger Volkszeitung, 12.9.2004.

 

zur Presse-Übersicht