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PRESSESTIMME

FREIHEIT STATT GÄNGELEI: MUSEEN IM WIDERSTAND

aus der  Leipziger Volkszeitung vom 13. November 2003

Wer in diesen Monaten Martin Roth zu einer Podiumsdiskussion einlädt, bekommt nicht nur eloquent-zurückgelehnte Plauderei, sondern Zündstoff. Müde sieht der Mann aus, gelegentlich scheinen melancholische Schatten auf der Stimme zu liegen. Doch meist ist da die Angriffslust eines Boxers, der nicht wahrhaben will, dass auch mal Ringpause ist. Dann lässt er die schwarze Brille am Bügel rotieren, oder seine Finger drehen imaginäre Papierkugeln. So wie am Dienstagabend beim zweiten wieder sehr gut besuchten Kulturpolitischen Salon in der Oper Leipzig. »Zukunftssicherung als Utopie? Museumskonzeptionen im Vergleich«, lautet das Thema der Veranstaltung, die Martin Roth mit einem Vortrag eröffnet.

Seit zwei Jahren ist der Schwabe Chef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Erst bedrohten Elbe und Weißeritz die weltberühmten Kunstschätze, jetzt übernehme das die Politik, meint er, Als »Mann fürs Grobe« und »Sanierer« galt der ehemalige Präsident des Deutschen Museumsbundes, als er geholt wurde. Inzwischen verwendet er Vokabeln aus dem globalisierungskritischen Proseminar.

»Wir erleben zurzeit eine neoliberale Kulturpolitik, brauchen mehr Zivilcourage als wir es glauben«, sagt er. Nicht direkte Attacken spüre er, »sondern Angriffe einer gewissen Art des Denkens«. Aktuelles Symptom: die Museumskonzeption für die staatlichen Einrichtungen in Sachsen. Das Papier, das Minister Matthias Rößler vor wenigen Wochen präsentierte, kommt, wie berichtet, von der KPMG, einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Ermittelt wurde zunächst der Ist-Zustand. Obwohl die Fläche in den nächsten Jahren zunimmt, soll landesweit ein Drittel der Mitarbeiter abgebaut werden. 85 Prozent der Ausgaben seien Personalkosten, argumentiert die Landesregierung. So etwas kann Roth locker kontern: »Stimmt, der Rest ist ja schon zusammengestrichen.« Die Ankaufsetats etwa. Der Galerie Neue Meister in Dresden bleiben jährlich gerade noch 13.000 Euro.

Und trotz verschiedener Dementis seien weitere Drohungen nicht vom Tisch, glaubt Roth. Zum Beispiel die Verlagerung großer Teile der Antikensammlung in das noch zu gründende »Haus der Archäologie« in Chemnitz. Sein Fazit: »Ich will nicht mehr Geld, sondern selbstbestimmter arbeiten.« Freiheit statt Gängelei? Das Gegenteil sei der Fall. Er erlebe zurzeit »einen Durchgriff des Staates wie noch nie«. Der reiche direkt »auf den Schreibtisch des Einzelnen«, so Roth. Letzte Woche habe er einen Brief aus der Staatskanzlei bekommen, in der er aufgefordert wurde, sich nicht mehr kulturpolitisch zu äußern. Es gärt im Freistaat.

»Wir sind auf Ihrer Seite«, sekundiert Wilhelm Hornbostel, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Sein erster Eindruck vom Neubau des Leipziger Bildermuseums, der an diesem Abend nur Randthema blieb: »Sieht aus wie ein Hochregallager von Bertelsmann in Gütersloh.« Ein »Unding« wäre es, sollte die Antikensammlung tatsächlich aus Dresden verlagert werden. Hornbostel hat die Freiheit, die Martin Roth meint. Vor vier Jahren wurden sieben Museen der Stadt in eine Stiftung überführt. »Die Initiative ging von uns aus« berichtet er. »Wir sind freier geworden. Ich könnte mit dem Geld nach Monaco fahren, und es verdoppeln.« Allerdings seien auch gewisse Dinge übersehen worden. »Wir wurden auf einer falschen Finanzbasis entlassen. Inzwischen hat sich ein riesiges Defizit aufgebaut.« Jetzt wird nachgebessert.

»Private und öffentliche Gelder müssen ausgewogen sein«, sagt Barbara Steiner, Direktorin der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst, die seit Januar eine Stiftung ist. Die habe kein Kapital, so dass man immer selbst das Geld für Ausstellungen zusammenbringen müsse. Steiner sieht die Museen mitten in einem Prozess, in dem neue Kräfte wirken. Gleich in der »Legitimationskrise« vermutet sie der Wiener Ausstellungsmacher Gottfried Fliedl. Einerseits. Andererseits: »Museen rücken in den letzten 20 Jahren ins Zentrum der Debatten.

Nun hätte eine spannende Diskussion über die Museen der Zukunft, ihre Möglichkeiten und Grenzen folgen können. Doch so sehr sich Moderatorin Ulrike Gropp auch mühte, Fliedl und Steiner auf der einen sowie Hornbostel und Roth auf der anderen Seite redeten aneinander vorbei. Irgendwann hing auch das Publikum in den Seilen.

 

© Jürgen Kleindienst; Leipziger Volkszeitung, 13.11.2003.

 

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