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PRESSESTIMME

WER REPRÄSENTIERT DEN KULTURELLEN KANON EUROPAS?

ERSTE ERKUNDUNGEN FÜR EIN NEUES »BLAUBUCH OSTEUROPA« IN LEIPZIG

Bericht des  Deutschlandfunks vom 2. Februar 2005

Das so genannte »Blaubuch«, in dem 20 national bedeutende Kultureinrichtungen der neuen Bundesländer versammelt sind, ist eines jener Projekte, das der maroden Kultur im Osten eine Extraförderung verschaffen und damit das kulturelle Ost-West-Gefälle etwas lindern soll. Das Blaubuch ist eine Art Gütesiegel und es verwundert nicht, dass es als Modell auch für die zehn neuen EU-Staaten vorgeschlagen wurde. Es geht schlicht um Förderung vergessener Kostbarkeiten und gefährdeter kultureller Einrichtungen; es geht damit aber auch um die wichtige Frage: wie definiert sich die kulturelle Identität Europas (neu)? Ein erster Schritt dahin sollte auf einem international besetzten Salon in Leipzig getan werden.

Was 1952 als ökonomische Idee einer Montanunion, einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl begann, hatte vor Jahrhunderten noch eine kulturelle Basis. Heute kommen Kulturpolitiker nicht umhin zu fragen, wo ist sie hin, die identitätstiftende kulturelle Verbundenheit zwischen Riga und Lübeck, zwischen Ljubljana und Paris? Kultur ist das Stiefkind im Haushalt Europas, wie auch in der künftigen Verfassung der Europäischen Union. Nicht mehr als 0,03 Prozent der finanziellen Aufwendungen tröpfeln in Theater, Museen oder Gedächtnisorte. Im Vertrag der 25 Mitgliedsstaaten schmort Kultur als »ergänzende Zuständigkeit« im Bürokratiesud. Konkretere kulturpolitische Maßnahmen müssen her – das war die Zielstellung des Salons. Manfred Ackermann, Mitinitiator des »Blaubuch Ostdeutschland« zerstreute zunächst das Vorurteil, das die Finanzierung von kulturellen Highlights, von Leuchttürmen die Basiskultur bedrohe. Die Einrichtungen in Osteuropa, die für ein solche identitätsstiftende Liste in Frage kämen, sollten das Potenzial haben, die Aufmerksamkeit der westlichen Nachbarn Richtung Osten zu lenken. Und das vermögen eben keine Off-Theater, so Manfred Ackermann. Doch müssten die zehn neuen Beitrittsstaaten auch bereit sein, wichtige Kulturstätten der finanziellen Verantwortung eines übergeordneten Europas zu überstellen.

Wenn nicht gesagt wird, zum Beispiel von Seiten der neuen Länder. Ich meine jetzt nicht unsere neuen Länder, die haben es ja gesagt, die haben gesagt diese 20 Einrichtungen sind besonders wichtig: »Also, Bund, nimm du mal was mit«. Genauso müssen natürlich jetzt die neuen Beitrittsländer sagen in der EU irgendwo mal sagen: »Uns geht ökonomisch schlechter als euch und wir haben diese bestimmten Kultureinrichtungen, die für ganz Europa wichtig sind, nicht nur für Litauen, nicht nur für Malta, nicht nur für Slowenien, sondern die sind für alle wichtig und da bitten wir einen Zuschuss.« Dann gibt es auch eine gewisse Chance.

Diese Chance gab Doris Pack, Mitglied des Europaparlaments, dem »Blaubuch Osteuropa« nicht: Es fehle schlicht am Geld. Folglich wurde auch nicht darüber disputiert, ob zum Beispiel das Schwarzhäupterhaus in Riga, die Marienkirche mit dem Veit-Stoss-Altar in Krakau oder das naturhistorische Museum in Ljubljana als Leuchttürme fungieren könnten. Außerdem, so Kazimierz Woycicki, ehemaliger Direktor des polnischen Instituts Leipzigs, sollte zunächst die europäische Sprachpolitik auch im alten Europa Fuß fassen, bevor über die Förderung kultureller Highlights nachgedacht wird. Während in Polen oder Tschechien Kinder und Jugendliche Französisch, Deutsch und Englisch beherrschen, sei das Interesse im alten Europa am Erlernen von Polnisch oder Tschechisch schlicht mangelhaft. Jugendaustausch, Sprachpolitik, Bildung: dies sei dringender als ein europäischer Kultursender oder eine europäische Enzyklopädie - so ein Fazit. Leider driftete die Diskussion ansonsten oft in die Beliebigkeit universaler Themen ab. Doch ein Vorurteil wurde dank Kazimierz Woycicki ausgeräumt: So arm, wie ihr Deutschen meint, seien die Polen gar nicht. Ihr seid diejenigen mit der Wirtschaftskrise.

Wenn 30 Prozent der Neuwähler NPD wählen und mit Rücken an Polen stehen: Das hat für Sie hier eine riesige wirtschaftliche Bedeutung. Für sie hier in diesem Land, nicht für uns in Polen. Wir haben sechs, sieben, acht Prozent Wachstum. Und Sachsen droht ein Transitland zu sein. Zwischen sich schnell entwickelndem Ost-Mitteleuropa und Westeuropa. Wir in Polen, wir betrachten das Grenzgebiet als ein Lackmuspapier. Und das ist fantastisch: Görlitz, Zittau, dieses Dreieck mittendrin. Das könnte florierende Gebiete sein. Was für eine Geschäfte könnte man machen, was für eine Kultur!

In Leipzig saßen offenbar jene siebzig Prozent Neuwähler im Publikum, die nicht NPD gewählt haben. Denn die pragmatischen Redebeiträge der zumeist jungen Zuhörer zeugten davon, dass diese Menschen sich in den Jugendherbergen zwischen Tallinn und Budapest bestens auskennen. Und während zehn Kulturminister um eine Charta zur Ergänzung der europäischen Verfassung ringen, die »einheitsstiftende Elemente jenseits der kulturellen Vielfalt« definieren soll, ist die Einheit Europas längst hergestellt: unter der Jugend.

 

© Katrin Kowark, Deutschlandfunk Köln, 02.02.2005.
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